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„Rettet wenigstens die Kinder“

Geschichte erlebbar zu machen und in die Gegenwart zu holen ist nicht immer leicht. Doris Stein gelang dies bei einer Veranstaltung in der Schulbibliothek dennoch. Die pensionierte Geschichtslehrerin stellte Geschichts-Kursen der Q 3 mit Hilfe von Dokumenten und Zitaten die Lebensgeschichte der Frankfurter Jüdin Jenny Reich, geb. Margulies, (1922-2001) vor. In dem Buch „Rettet wenigstens die Kinder“ hat sie Jennys Biographie veröffentlicht.

Etwa 20.000 jüdische Kinder zwischen zwei und 17 Jahren konnten über Kindertransporte der Jüdischen Wohlfahrtspflege zwischen 1938 und 1939 von Frankfurt aus in England vor dem Naziregime in Sicherheit gebracht werden, weil sie dort einen Bürgen hatten. Dabei war die Nachfrage um ein Vielfaches höher. Insgesamt wurden über 60.000 Anträge von Familien gestellt, die jeweils nur ein Kind fortschicken durften – ein großes Dilemma für alle Beteiligten.

Im Juli1939 verließ Jenny als 16-jährige ihre Familie mit einem der Kindertransporte, die vom Frankfurter Hauptbahnhof starteten. Ihr zwei Jahre älterer Bruder Moritz hatte sich bereits Anfang 1939 eigenständig nach England durchgeschlagen, weil er Deutschland binnen weniger Wochen verlassen musste. Was sich für den einen als Glücksfall entpuppte, war für die andere das genaue Gegenteil. Zwar rettet das Hilfsprogramm Jenny das Leben, doch begleiteten sie zeitlebens starke Schuldgefühle – sie sah ihre Eltern nie wieder.

In England wurde die junge Frau nicht wirklich heimisch. Sie kam zunächst zu einer Frau, die sie als Dienstmädchen ausnutze. Weitere entbehrungsreiche Stationen folgten, bis sie Ende der 40er Jahre nach Israel auswanderte. Dort lernte sie ihren zukünftigen Mann kennen, einen polnischen Juden, der in Schweden Zuflucht gefunden hatte. Mit ihm ging sie 1954 nach Schweden, wo auch ihre drei Kinder geboren wurden. Jenny Reich hatte zeitlebens Depressionen und fühlte sich „nirgendwo mehr richtig zuhause“.

Doris Stein lernte Jenny Reich 1996 im Rahmen ihres Engagements für den Verein „Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt“ kennen. Jenny Reich war damals auf Einladung der Stadt in Frankfurt  zu Gast, um das gegenwärtige Frankfurt kennenzulernen. Das Buchprojekt zu den Kindertransporten entstand im Rahmen der Diskussion um ein Denkmal für die Kinder der Kindertransporte und ihre Helfer*innen. Jennys Kinder erlaubten die Veröffentlichung der Biografie ihrer Mutter unter der Bedingung, dass junge Menschen das Buch lesen.

20190114_144040.jpgEs kann in der Schulbibliothek ausgeliehen werden. Darin befinden sich weitere Biografien von geretteten Kindern und deren Helfer*innen.

 

Rieber, Angelika und Lieberz-Groß, Till (Hrsg.): Rettet wenigstens die Kinder. Kindertransporte aus Frankfurt am Main – Lebenswege von geretteten Kindern, Frankfurt am Main, 2018. [FFM 323 Rett]